Saturday, August 20, 2011
ALFRED LICHTENSTEIN (1889-1914)
IN DEN ABEND
Aus krummen Nebeln wachsen Köstlichkeiten.
Ganz winzge Dinge wurden plötzlich wichtig.
Der Himmel ist schon grün und undurchsichtig
Dort hinten, wo die blinden Hügel gleiten.
Zerlumpte Bäume strolchen in die Ferne.
Betrunkne Wiesen drehen sich im Kreise,
Und alle Flächen werden grau und weise ...
Nur Dörfer hocken leuchtend: rote Sterne –
DIE NACHT
Verträumte Polizisten watscheln bei Laternen.
Zerbrochne Bettler meckern, wenn sie Leute ahnen.
An manchen Ecken stottern starke Straßenbahnen,
Und sanfte Autodroschken fallen zu den Sternen.
Um harte Häuser humpeln Huren hin und wieder,
Die melancholisch ihren reifen Hintern schwingen.
Viel Himmel liegt zertrümmert auf den herben Dingen ...
Wehleidge Kater schreien schmerzhaft helle Lieder.
REGENNACHT
Der Tag ist futsch. Der Himmel ist ersoffen.
Wie falsche Perlen liegen kleine Stumpen
Zerhackten Lichts umher und machen offen
Ein wenig Straße, ein paar Häuserklumpen.
Verfault ist alles sonst und aufgefressen
Von schwarzem Nebel, der wie eine Mauer
Herunterfällt und morsch ist. Und im Pressen
Bröckelt wie Schutt der Regen – dichter – grauer –
Als wollte jeden Augenblick die ganze
Verseuchte Finsternis zusammensinken.
Wie eine seltsame, ertrunkne Pflanze
Unten im Sumpf siehst du ein Auto blinken.
Die ältsten Huren kommen angekrochen
Aus nassen Schatten – schwindsüchtige Kröten.
Dort schleicht eins. Dorten wird ein Schein erstochen.
Der Regensturz will alles übertöten ...
Du aber wanderst durch die Wüsteneien.
Dein Kleid hängt schwer. Durchnäßt sind deine Schuhe.
Dein Auge ist verrückt von Gier und Schreien.
Und dieses treibt dich – und du hast nicht Ruhe:
Vielleicht erscheint inmitten düstrer Feuer
Der Teufel selbst in der Gestalt des Schweines.
Vielleicht geschieht etwas ganz ungeheuer
Blödsinniges, Brutales, Hundsgemeines.
NACH DEM BALL
Die Nacht kriecht in die Keller, muffig matt.
Glanzkleider torkeln durch der Straßen Schutt.
Gesichter sind verschimmelt und kaputt.
Kühl brennt der blaue Morgen auf der Stadt.
Wie bald Musik und Tanz und Gier zerrann ...
Es riecht nach Sonne. Und der Tag beginnt
Mit Schienenwagen, Pferden, Schrei und Wind.
Ein Mann streicht einen Herrenrumpf grau an.
Alltag und Arbeit staubt die Menschen ein.
Familien fressen stumm ihr Mittagsmahl.
Durch einen Schädel schwingt noch oft ein Saal,
Viel dumpfe Sehnsucht und ein Seidenbein.
LANDSCHAFT IN DER FRÜHE
Die Luft ist grau. Wer weiß was gegen Ruß?
Bei einem Ochsen, der am Boden frißt,
Steht staunend ein tiefernster Hochtourist.
Bald gibt es einen kräftgen Regenguß.
Ein Junge, der auf eine Wiese pißt,
Wird zu dem Quell von einem kleinen Fluß.
Was soll man machen, wenn man ernsthaft muß!
Mensch, sei natürlich. Gib dich, wie du bist.
Ein Dichter geht in dieser Welt umher,
Besieht sich den geregelten Verkehr
Und freut sich über Himmel, Feld und Mist.
Ach, und notiert sich alles sorgsam auf.
Dann steigt er einen hohen Berg hinauf,
Der gerade in der Nähe ist.
WINTERABEND
In gelben Fenstern trinken Schatten heißen Tee.
Sehnsüchtge wiegen sich auf hartem Schimmerteiche.
Arbeiter finden eine sanfte Damenleiche.
Johlende Dunkle werfen glimmend blauen Schnee.
An hohen Stangen hängt, verfleht, ein Streichholzmann.
Kaufläden flackern trüb durch frostbeschlagne Scheiben,
Vor denen Menschenleiber wie Gespenster treiben.
Studenten schneiden ein erfrornes Mädchen an.
Wie lieblich der kristallne Winterabend brennt!
Schon strömt ein Platinmond durch eine Häuserlücke.
Bei grünlichen Laternen unter einer Brücke
Liegt ein Zigeunerweib. Und spielt ein Instrument.
DIE WELT
Viel Tage stampfen über Menschentiere,
In weichen Meeren fliegen Hungerhaie.
In Kaffeehäusern glitzern Köpfe, Biere.
An einem Mann zerreißen Mädchenschreie.
Gewitter stürzen. Wälderwinde blaken.
Gebete kneten Fraun in dünnen Händen:
Der Herr Gott möge einen Engel senden.
Ein Fetzen Mondlicht schimmert in Kloaken.
Buchleser hocken still auf ihrem Leibe.
Ein Abend taucht die Welt in lila Laugen.
Ein Oberkörper schwebt in einer Scheibe.
Tief aus dem Hirne sinken seine Augen.
STRASSEN
Viel Himmel liegt auf allen singenden
Einsamen Straßen im Laternenscheine.
Ich schwing im Winde über graue Steine,
Die spiegeln meinen Schritt, den klingenden.
Ich spüre an der Stirne eiligen
Verhauch von gelben und von dunklen Dingen.
Ich will die Nacht mit Träumerein verbringen.
Ich fühl den Mond ... grüngoldnen Heiligen.
MONDLANDSCHAFT
Oben brennt das gelbe Mutterauge.
Überall liegt Nacht wie blaues Tuch.
Fraglos ist, daß ich jetzt Atem sauge.
Ich bin nur ein kleines Bilderbuch.
Häuser fangen Träume bunter Schläfer
Wie in Netzen in den Fenstern auf.
Autos kriechen wie Marienkäfer
Leuchtende Straßen hinauf.
VERGNÜGTES MÄDCHEN
Sieh doch, so ein feines Luder!
Diesmal hatt' ich wirklich Schwein.
Sein Gesicht ist weiß wie Puder –
Louis, nimm ihn! Laß mich sein ...
Wird sich noch ein Bein ausrenken –
Oder schlägt an einen Pfahl –
Hui, der wird sein Lebtag denken
An den heut'gen Karneval.
Kannst ihn ganz allein behalten ...
Daß dich nur kein Wachmann faßt –
Geh doch zu der Sau, der alten,
Die du ja viel lieber hast.
Ich find alle Tage einen
Neuen Freund ... ich brauch dich nicht.
Louis schielt nach meinen Beinen,
Schimpft. Und schlägt mich ins Gesicht:
»Wirst du gleich ihn bei den Füßen
Fassen ... Quatsch nicht ... So ... Gradaus.
Warte, Schleimstück, du sollst's büßen,
Kommst du erst mit mir nach Haus!«
Mich ergreift ein tolles Fieber.
Hiii – ich freu' mich fürchterlich.
Endlich wieder ist mein lieber
Süßer Schieber geil auf mich.
EROTISCHES VARIÉTÉ
Auf offner Straße in der Nacht
Entkleidet sich ein Kneipenwirt.
Ein Ingenieur ist aufgebracht,
Der sich bei seinem Weib verirrt.
Nach gleichgesinnten Viechern schielt
Ein homosexueller Hund.
Ein Greis, der mit sich selber spielt,
Merkt: Allzuviel ist ungesund.
In schmutzig grüner Tunke hockt
Ein blauer Syphilitiker.
Ein Boxer bebt. Ein Baby bockt.
Verstiert fault ein Zylinderherr.
Ein Auto bringt ein Fräulein um.
Ein Junge bricht ein Mädchen an.
Verbittert ist ein Mensch. Warum?
Weil er nicht coitieren kann.
ABSCHIED
Wohl war ganz schön, ein Jahr Soldat zu sein.
Doch schöner ist, sich wieder frei zu fühlen.
Es gab genug Verkommenheit und Pein
In diesen unbarmherzgen Menschenmühlen.
Sergeanten, Bretterwände, lebet wohl.
Lebt wohl, Kantinen, Marschkolonnenlieder.
Leichtherzig lass ich Stadt und Kapitol.
Der Kuno geht, der Kuno kommt nicht wieder.
Nun, Schicksal, treib mich, wohin dir gefällt.
Ich zerre nicht an meiner Zukunft Hüllen.
Ich hebe meine Augen in die Welt.
Ein Wind fängt an. Lokomotiven brüllen.
KARNEVALSTRAUM
Ich mach den Karneval sobald nicht wieder mit.
So schlimm ist mir mein Lebtag nicht gewesen,
Und solche Träume hab ich nie geträumt:
Auf einem harten, kahlen Wege, der der Stadt,
Die ihn nicht halten konnte, fast entlaufen ist
Und nun, ein Bettler, in den Himmel wandert, schreiten
Ein Mann, ein Weib. – Der Mann: robust, gemein,
Ein Raubtier, das sich auf das Fressen freut.
Das Weib: graziös und schlank, halbnackt, im Domino.
Herzlose Blicke stechen aus verbrauchten Augen ...
Kein Laster, kein Verbrechen ist ihr neu –
Und jedes hält wie ein Paket in einem Arm
Ein Bein von mir. Mein Körper schleift am Boden.
Und immer, wenn ich stöhnend meinen Kopf
Versuche zu erheben oder mit den Händen mich
Verzweifelt an die Erde klammern will,
Fühl ich des Mannes starke Knochen fester
Um meinen Fuß sich legen ... fühle, wie des Weibes
Grausames, kühles Fleisch sich plötzlich enger preßt,
Und mutlos, hoffnungslos sink ich zusammen –
Die beiden aber schreiten schweigend weiter,
Zu jeder Greueltat mit Lust bereit.
SCHWÄRMEREI
Paul sagte:
Ach, wer doch ewig Auto fahren könnte –
Wir bohren uns durch hochgestielte Wälder,
Wir überholen Flächen, die sich endlos schienen.
Wir überfahren den Wind und überfallen die Dörfer, die flinken.
Aber verhaßt sind uns die Gerüche der langsamen Städte –
Hei, wie wir fliegen! Immer den Tod entlang ...
Wie wir ihn höhnen und ihn verspotten, der uns am Leben sitzt!
Der uns die Gräben legt und alle Straßen krümmt – ha, wir verlachen ihn
Und die Wege, die überwundenen, vergehen vor uns –
So werden wir die ganze Welt durchauteln ...
Bis wir einmal an einem heitern Abend
An einem starken Baum ein kräftges Ende finden.
CAPRICCIO
So will ich sterben:
Dunkel ist es. Und es hat geregnet.
Doch du spürst nicht mehr den Druck der Wolken,
Die da hinten noch den Himmel hüllen
In sanften Sammet.
Alle Straßen fließen, schwarze Spiegel,
An den Häuserhaufen, wo Laternen,
Perlenschnüre, leuchtend hängen.
Und hoch oben fliegen tausend Sterne,
Silberne Insekten, um den Mond –
Ich bin inmitten. Irgendwo. Und blicke
Versunken und sehr ernsthaft, etwas blöde,
Doch ziemlich überlegen auf die raffinierten,
Himmelblauen Beine einer Dame,
Während mich ein Auto so zerschneidet,
Daß mein Kopf wie eine rote Murmel
Ihr zu Füßen rollt ...
Sie ist erstaunt. Und schimpft dezent. Und stößt ihn
Hochmütig mit dem zierlich hohen Absatz
Ihres Schuhchens
In den Rinnstein –
LIEBESLIED
Helle Länder sind deine Augen.
Vögelchen sind deine Blicke,
Zierliche Winke aus Tüchern beim Abschied.
In deinem Lächeln ruh ich wie in spielenden Booten.
Deine kleinen Geschichten sind aus Seide.
Ich muß dich immer ansehen.
AN FRIDA
Zwischen uns sind Wände Trennung.
Spinnetze Sonderbares.
Doch oft fliege ich schmal in meiner sinkenden
Händeringenden Stube, ein blutender Piepmatz.
Wärst du da.
Ich bin so ermordet.
Frida.
DIE DÄMMERUNG
Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.
DAS VORSTADTKABARETT
Verschweißte Kellnerköpfe ragen in dem Saal
Wie Säulenspitzen hoch und übermächtig.
Verlauste Burschen kichern niederträchtig,
Und helle Mädchen blicken hübsch brutal.
Und ferne Frauen sind so sehr erregt ...
Sie haben hundert rote runde Hände,
Gebärdelose, große, ohne Ende
Um ihren hohen bunten Bauch gelegt.
Die meisten Menschen trinken gelbes Bier.
Verrauchte Krämer glotzen grau und bieder.
Ein feines Fräulein singt gemeine Lieder.
Ein junger Jude spielt ganz gern Klavier.
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