Sunday, December 27, 2009

WILHELM LEHMANN (1882-1968)




Sonnenwende

In zarte Schlinge faßt den Fuß,
Den staubigen, das Zittergras.
Mir deucht die Wasserprimel blaß
Von langen Tages langem Kuß.

Da schon die Rosenkrone fiel,
Die Ulmennuß, der Ahornstiel,
Nimmt sie ein Wind sich noch zum Spiel
Auf ihren letzten Wegen.
Mit Mottenleib und Fliegenrest
Hält sie der Spinnenfaden fest.
Die Hitze kocht den Spinnenstrick
Im überhellen Mittagslicht
So hell, daß mir das Auge bricht;
Er schlingt sich auch um mein Genick,
So will ich mich nicht regen.

Mein Haar, dem Wind ein Zeitvertreib,
Mit Rosenkrone, Fliegenleib,
Mit Ulmennuß und Ahornstiel
Und mit dem Grashalm, schnell gemäht,
Vom Spinnenfaden eingenäht,
Kann ich mich nicht mehr regen -
Mit allem, was dem Staub verfiel
Und dem die Schönheit nichts genützt,
Von nichts als vom Gedicht beschützt
Auf allen meinen Wegen.




Im Winter zu Singen

Die Jäger spannen die Tellereisen,
Die Füchse entwischen.
Der Südost nietet die letzte Spalte
Über Aalen und Fischen.

Aus Lappland flogen die roten Drosseln,
Ihre Stimme fällt weich wie Schnee.
Kein Messer schneidet den Schlaf der Erde,
Auch der Maulwurf tut ihr nicht weh.

In weiser Ohnmacht werden die Larven
Für andere Zeit bewahrt.
Den trächtigen Schafen wächst das Euter,
Den Ziegenböcken der Bart.

     (datiert 25.1.1929)



Ahornfrüchte

        an Oskar Loerke

Gleich Sarazenensäbeln hängen
Die Ahornfrüchte bündeldicht.
Still ist es in der Weltenkammer,
Das Weltgeschrei bewegt sie nicht.

Wildhüter sagte mir der Bauer,
Sie brauchten nicht die dünne Frucht.
September trocknet ihr die Flügel,
Ein Kind hat sie zum Spiel gesucht.

Der Star, von Kälberrücken schnurrend,
Pickt nach den Schwertern, läßt es wieder;
Geweih des Hirsches streift sie müßig -
Sie glänzen, Ungebrauchte, nieder.

Ich aber brauche sie. Durch Erde und durch Himmel
Zückt meine Hand sie. Dem Getümmel
Der Menschen unsichtbar zieht meines Schlages Spur -
Sie glänzen grün und kupferrot. Von ihrer Klinge raucht
Kein Blut. Im Schlaf sich rührend, unverbraucht,
Die Schwerter sie des Dichters nur.

     (datiert 3.-6.9.1933)




Oberon

Durch den warmen Lehm geschnitten
Zieht der Weg. Inmitten
Wachsen Lolch und Bibernell.
Oberon ist ihn geritten,
Heuschreckschnell.

Oberon ist längst die Sagenzeit hinabgeglitten.
Nur ein Klirren
Wie von goldnen Reitgeschirren
bleibt,
Wenn der Wind die Haferkörner reibt.

     (datiert 28.7.1934)



Pappellaub

Es rauscht.
Wo kommt es her?
Das Laub der Pappel rauscht, als seien Blätter Meer.
Da niemand lauscht,
Laß mich es tun,
Den Kopf im Nest des Armes ruhn.

Die wilden Möhren
Blühn zu den Chören
Der Schlußgesänge
Im Mönchsgedränge
Des Starenschwarms.
im Nest des Arms
Hör ich, es schallt:
Der Somme wird alt.

Es rauscht.
Das Laub der Pappel rauscht, als seien Blätter Meer.
Sie schweigen, warten, schallen voller her,
Als freue sie, daß jemand lauscht.

     (Erstabdruck FAZ 8.8.1941)



Blick auf Rom

Im Boden verschollen
Triumphgeschrei, Geheul und Gelächter,
Alle Opfer und alle Schlächter.

Dann weideten hier Kühe und Geißen,
Campo caprino, campo vaccino.

Die aufgeweckten Steine hilft mein Fuß verschleißen.
Wohin vergehe ich? Wage ich, noch zu bestehn?
Teerose, Pfirsich geben ihre Farben der römischen Vedute;
Das Mauersims besteigt der Feigenbaum mit immer wiederholtem Mute.

Über der Peterskuppel seh ich sich drehn
Eine Säule Zugvögel,
Des Weges gewiß, so tüchtig wie flüchtig.
Ich wage es, noch zu bestehn.


     (Erstabdruck Deutsche Zeitung 9.11.1959)




Sperber aus Stein

Laß nicht den Tod das Ende sein,
O falle mir noch wieder ein!
Er werde steinig nachgelebt,
In Fleisch und Blut so rasch verschwebt.

Die heilig wilde Wohlgestalt
Gräbt frühe Hand aus dem Basalt:
Den Blick, den nur die Ferne lockt;
Den Schrei, der in der Kehle stockt;
Die Schwinge, lässig angedrückt,
Von Leidenschaft nicht mehr gerückt.
Der Schnabel Sichel, Dolch der Fang:
So sitzt er ein Jahrtausend lang.

Das dauerhafte Protokoll
Liest spätes Auge andachtsvoll.
Verschlossen der basaltne Schrein,
Verschwiegenes Gedenkemein.

Wenn du für alle Zeit versteinst
Und nichts mehr willst von Da und Einst,
Vielleicht, daß doch mein Hier und Jetzt,
Wie Schlafenden ein Traum, dich letzt.

     (Erstabdruck FAZ 24.3.1965)



Letzte Tage

Ausgelaufen ist der Krug.
Erde spricht, es ist genug.

Chrysanthemen hat ein Freund vors Bett gestellt,
Lockenhäupter, Würzgeruch der Welt.

Ehe meine Finger kalten,
Fühlen sie die Lust, die Stengel festzuhalten.

Halt ich so das letzte Stück der Zeit noch aus,
Bringt das große Qualenlose mich nach Haus.

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